Auf alle Fälle ist dieses Geräusch dermassen nervig, das man selbst die wichtigsten Tätigkeiten einstellt – also Finger aus der Nase und die gerade laufende Gerichtsshow mittels eines gezielten Drucks auf die immer erreichbare Fernbedienung auf stumm geschaltet.

„Jürgen hier..“, klingt es vom anderen Ende. `Aha,´ dacht´ ichs mir doch, ein anderer ARGE-Kunde, wer sonst sollte wohl die Nachmittagslangeweile stören.

„Hmhh,“ hmmhte ich, „was gibbet?“

„Du erinnerst dich noch daran, wie wir bei meinem Vater die Wohnung leergeräumt haben?“ Eine rein rethorische Frage natürlich, hatte mir diese Aktion beim alten Herrn P. (Gott hab seine Seele gnädig) doch eineinhalb Bandscheibenvorfälle, zwei Krankenhausaufenthalte und neun Wochen Schmerzen eingebracht. Schließlich hatte der alte Herr in den letzten Jahren vor seinem Dahinscheiden eine recht ungesunde Sammelleidenschaft bewiesen und komplette Jahrgänge diverser Blutlevardblätter in seiner Wohnung gehortet.

„Joh,“ johte ich, nach dem der Erinnerungsschmerz etwas nachgelassen hatte, „und was hasse diesmal gefunden?“

„Ne Einladung zu `ner Kaffeefahrt – mit Hauptgewinn und vielen Extras.“

Das hörte sich allerdings sher gut an, wollten wir doch schon immer mal sone Aktion starten. Es ging also um einen Brief der „Offizielle(n)- Verwaltungsabteilung Zweigstelle-West“ in dem Jürgens Vater im schönsten Beamtendeutsch über folgendes informiert wurde:
„Wichtige Mitteilung für Herr P.
Lieber Herr Petz, Ihnen steht noch ein Hauptgewinn nach § 6lb UGB zu.
Es geht um die Auflösung der Fa. S.-Reisen, die sie vor kurzer Zeit angeschrieben hat bzw. wo sie mitgefahren sind und ihr versprochener Hauptgewinn nicht an Sie Herr P. übergeben wurde.“ (Interpunktion und Satzbau originalgetreu).

Der Hauptgewinn solle wohl aus 297,-- € bestehen und würde nur bar bei Teilnahme an der auf dem beigelegten Flyer beschriebenen Busfahrt ausgezahlt. Interessanterweise wäre diese Bustour kostenlos und Herr P. dürfe sogar noch 4 seiner Freunde mitbringen. Und damit der Anreiz – trotz des zu erwartenden Geldsegens – noch größer würde, hatte man keine Kosten und Mühen gescheut und dafür gesorgt, das dieser Tag lange in Erinnerung bleiben würde.

So klärte uns der angesprochene Flyer darüber auf, das es für jeden Teilnehmer der Veranstaltung noch folgende Geschenke und Extras gäbe:

jeweils ein Frühstück, ein Mittagessen und ein Freigetränk,
1 Flasche Champagner „Dom Perignons“ (die Marke kenn ich garnicht),
1 ganze deutsche Weinachtsgans,
1 ganze Barbarie Ente (hört sich gruselig an),
500g norwegischer Wildlachs,
80g Beluga-Kaviar,
18 Austern,
100g Trüffel Perigard,
2kg Rehrücken,
2 Hummer und
2 Langusten.

Das hörte sich schonmal verblüffend an, aber es sollte noch besser kommen. Eine Tragetasche würde wohl nicht ausreichen, denn zusätzlich kostenlos für jeden Reisegast gab es auch noch Extrageschenke sofort zum Mitnehmen:

1L Glühwein,
500g Lebkuchen,
500g Haselnüsse,
500g Christstollen,
200g Marzipan,
500g Spekulatius,
12 Weihnachtsengel,
1 Adventskranz,
18 Christbaumkugeln
und eine CD mit den schönsten Weihnachtsliedern.

Und letzteres überzeugte mich dann auch die Strapazen der Tagesreise aufzunehmen, fehlten mir in meiner CD-Sammlung doch genau die schönsten Weihnachtslieder. Ich kam mit meiner „Mr. Hankeys Christmas Carol“ und dem Sampler „It´s a punk-christmas“ der Sache schon ziemlich nahe, aber die echte Krönung fehlte halt.

Bei all dem Positiven sollte man natürlich anmerken, das im Kleingedruckten des Flyers erwähnt wurde, das man an einer Verkaufsveranstaltung teilzunehmen hatte, aber wir waren der Meinung das schon überstehen zu können.

Mal von einer ganz ernsthaften Seite betrachtet war es uns natürlich klar, das die ganze Sache eine große Abzocke werden würde. Keiner von uns rechnete wirklich damit das wir mit vollen Taschen und einem großen Geldbetrag wieder in die Heimat kommen würden, aber zumindest mein journalistisches Interese war geweckt. Schließlich hatte man in diversen TV-Magazinen schon mehrere Berichte über solche Kaffefahrten gesehen, in denen sich die versprochene Bohrmaschine als Schlüsselanhänger und der Wäschetrockner als Wäscheklammer herausstellte.

Es galt also sich dementsprechend vorzubereiten. Mehrere Digitalkameras, ein Diktiergerät, sowie 2 Thermoskannen voller Glühwein, eine Flasche Amaretto (die passte nicht mehr in die Thermoskanne rein) und – schließlich ging es nach Holland – eine Flasche roter Genever. So ausgestattet trafen wir also zu viert an einem kalten Novembermittwoch morgens um 7.00 Uhr am Fernbahnhof vor der alten Paketpost ein.

bustelefonDiesen Busbahnhof sollte man wirklich einmal um diese Zeit besucht haben. Direkt gegenüber der Dönermeile findet man dann ein Konglomerat diverser ausländischer Mitbürger wie man es ansonsten nur in New York antreffen kann und im Minutentakt werden Busse mit Reisezielen wie Bukarest, Warschau und Ankara beladen. Damit wir im Chaos nicht ganz verloren gingen stellten wir uns direkt an eines der öffentlichen Telefone (hier handelt es sich wohl um spezielle Geräte, die ohne Höhrer auskommen – siehe Bild) und wärmten uns erstmal mit einigen Tässchen Glühwein auf. Während sich der aromatische Duft um uns verbreitete und sich in unseren Körpern ein erster Wärmeschub ausbereitete hielten wir Ausschau nach eventuellen Mitfahrern. Zwei Damen vom Typ „Omma“ fielen uns auch direkt ins Auge.

„Fahren sie auch mit der „Offiziellen Verwaltungsabteilung“ ?“, fragten wir harmlos und boten den älteren Damen nach der Bestätigung auch direkt einen tiefen Schluck aus der Glühweinpulle an. Dankend lehnten die Ladys ab, galt es doch später beim „Bauernfrühstück“ noch ein Gratis Glas Sekt zu trinken. Trotzdem erfuhren wir nach kurzem Gespräch, das es sich wohl auch bei den beiden um Gewinner handelte – Überraschung.

Nach einiger Wartezeit traf dann auch – mit nur fünfminütiger Verspätung – unser Bus ein. Während er noch an uns vorbeiglitt blickte ich in die Fenster und sah Falten über Falten. Scheinbar bis zum letzten Sitz war der Bus gefüllt mit Herren und Damen, die die 70 schon weit überschritten hatte. Sollte es – was keiner wünschen würde – bei diesem Transport zu einem Unfall kommen, so würde der Busunternehmer mit Sicherheit Dankesschreiben sämtlicher Rentenversicherer bekommen.

Bevor wir uns – hinter den Ladys natürlich – zum Eingang des Busses begaben hatten wir noch die Möglichkeit den Aufdruck auf dem Hinterteil des Fahrzeuges zu bewundern. „www.busreparatur.de“ stand dort zu lesen – das lies unser Vertrauen in die ganze Sache doch etwas schwinden. Trotzdem nahmen wir allen Mut zusammen und näherten uns der Tür.

„Wir sind voll,“ herrschte uns ein kleiner dicker schnauzbärtiges Etwas an. „Ihr müsst auf den nächsten Bus in 20 Minuten warten.“

Es war uns klar, das kein Bus mehr kommen würde, aber angesichts der rückseitigen Beschriftung und der Blicke der „Ommas“ im Bus, die schwer an die einer Kuh vor der Schlachtbank erinnerten, hielten wir uns zurück und gaben klein bei. Zu groß war die Angst bei diesem finalen Transport im Straßengraben oder in irgendeiner Duschkabine zu landen.

Und während der Bus abfahrend an uns vorbeirauschte und uns die sehnsüchtigen Blicke der Mitfahrer noch auf den Körpern brannten, beschlossen wir den Tag anders zu verbringen – schließlich waren unsere Getränke noch nicht ganz leer. Aber das ist eine andere Geschichte und sie soll ein anderes Mal erzählt werden.


dia