gladbeckquer 

oder
So kann öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch gehen
(Deutschland 2018)

Regie: Kilian Riedhof

Drehbuch: Kilian Riedhof, Holger Karsten Schmidt

Darsteller: Sascha Alexander Gersak, Alexander Scheer, Zsa Zsa Inci Bürkle, Ulrich Noethen, Albrecht Schuch

 

 

gladbeck l001Das diesem zweiteiligen TV-Film zu Grunde liegende Geiseldrama, dass am 18. August 1988 in Gladbeck begann und auf der Autobahn Köln-Frankfurt im Chaos endete, hat in der deutschen Kriminalgeschichte einen einzigartigen Platz und hat sich in den Köpfen derer, die es damals – dank ununterbrochener Medienpräsenz – nahezu live miterlebt haben einen ähnlichen Stellenwert wie die Schleier-Entführung und das Attentat während der Münchener Olympiade 1972.

Der Fall, der der kleinen Stadt Gladbeck zu zweifelhaftem Ruhm verhalf, war jedoch weder terroristisch noch politisch begründet, sondern begann als ein „normaler“ Bankraub der, nicht zuletzt dank der übervorsichtigen Vorgehensweise der Ordnungsbehörden und dem wenig vorsichtigen Vorgehen der Medienvertreter - und der damit verbundenen Erhöhung der Täter Degowski und Rösler auf ihre Warholschen 15-Minutes-of-Fame - im absoluten Chaos mit drei zu beklagenden Toten endete.

Bereits im Jahr 1998 beschäftigte sich RTL in einem groß angelegten Doku-Thriller mit eingestreutem Originalfilmmaterial mit dem Fall und über das 1999 von ARTE produzierte Dokudrama mit Richy Müller, dass die Fakten zu Gunsten einer zuschauerfreundlicheren Handlung verwässerte und nahezu komplett aus der Sicht der Gangster erzählte, decken wir lieber das Mäntelchen des Schweigen.

gladbeck l007Nun beglückt uns also die Degussa in Zusammenarbeit mit der ARD und Ziegler-Film mit einer weiteren, diesmal komplett als dreistündiger Spielfilm präsentierten, Variante zum 30ten Jubiläum. Wieder musste man sich im Vorfeld einige Fragen stellen, denn sollte man sich tatsächlich komplett an der Realität orientieren, so dürften weder Polizei noch die Medien selbst wirklich gut dabei wegkommen. Bei einer öffentlich-rechtlichen Produktion sollte man eine ehrliche Vorgehensweise zwar vorraussetzen, aber wenn eine Krähe schon der anderen kein Auge raushackt, warum sollte sich sich selbst blenden.

Ebenso bestand es zu befürchten, dass aus dem Drama eine typische Tatort-Variante würde, so richtig schön mit Spannungsaufbau aus dem Baukasten, einem Polizisten als Helden und zusätzlich einem deutlich über dem Drama schwebenden erhobenen Zeigefinger (siehe dazu auch unsere aktuelle Giftspritze zum Thema).

Ohne zu viel vorweg zu nehmen, all meine Ängste haben sich als komplett unbegründet erwiesen.

gladbeck l006Der Zweiteiler entpuppt sich nämlich – obwohl er tatsächlich teilweise bekanntes Material bis ins Detail nachstellt – nicht als reines Dokudrama, sondern nutzt in seiner Gestaltung deutliche Thrillerelemente um die Geschichte spannend und teilweise sogar schockierend zu erzählen. So gibt es Sequenzen zu sehen, die fast schon eine „hitchocksche“ Spannung erzeugen, obwohl man ja als Zuschauer ganz genau weiß, was passieren (oder eben nicht passieren) wird. Wenn zum Beispiel bereits am zweiten Tag in der Bremer Fußgängerzone gleich drei Sniper die Täter im Fadenkreuz haben und der Zugriff daran scheitert, dass niemand die Verantwortung für den „finalen Rettungsschuß“ übernehmen will, dann möchte man als Zuschauer den Verantwortlichen am liebsten an die Gurgel gehen und wenn aufgrund des unkoordinierten Vorgehens der Polizeikräfte der 15-jährige Emanuele de Giorgi zu Tode kommt, dann ist das schockierender als die meisten modernen Horrorfilme.

gladbeck l002Aber auch die Medien bekommen durchaus ihr Fett weg. Zwar wird – bis auf Hans Meiser – keiner der diversen sich falsch verhaltenden Journalisten namentlich erwähnt, aber „Gladbeck“ schiesst auch hier in jede Richtung und erwähnt überraschender Weise auch das sich bei der vielleicht peinlichsten Aktion, bei der die Geiselnehmer mit ihrem Fluchtwagen mitten in der Kölner Innenstadt stehen und von Reportern belagert werden, ein ARD-Journalist in vorderster Reihe befindet und sich ein Exklusiv-Interview abholt.

Allerdings muss man auch negativ anmerken, dass – wenn man dem Film glauben soll – sich jeder Aussenstehende seine Informationen NUR bei der Tagesschau abgeholt hat. Weder Sendungen des ZDF noch von RTL laufen auf den diversen zu sehenden Fernsehern, das Tagesschaulogo und die große 1 sind allgegenwärtig. Hier wäre ein etwas breiter gefächerter Blick und ein Hauch von Kritik ebenfalls angebracht gewesen, denn schließlich hat auch die ARD damals die Bilder des verblutenden Emanuele (wenn auch nicht direkt live) unzensiert zur besten Sendezeit rauf und runter gespielt und mit der nahezu 24 Stunden dauernden Liveberichterstattung einen großen Anteil daran gehabt, dass die diversen Fluchtfahrzeuge der Verbrecher immer von Horden von Reportern und Schaulustigen umlagert waren und somit ein Zugriff der Polizei unmöglich wurde.  

gladbeck l004Besonders erfreulich finde ich aber bei dem gesamten Film, dass der Fokus NICHT auf die beiden Täter gelegt und nicht versucht wurde, ihnen in irgendeiner Weise Sympathie angedeihen zu lassen. Rösner und Degowski, die übrigens von Sascha Alexander Gersak und Alexander Scheer großartig gespielt werden, waren (und sind) Psychopathen ohne Rechtsbewusstsein mit einem eingeschränkten IQ, die sich in der ihnen zugeteilten Aufmerksamkeit sichtlich sonnten und sich dadurch in ihrem Handeln bestärkt sahen.

Der Film bemüht sich eher darum das Chaos in den diversen Polizeizentralen und Ministerien, das Kompetenzgerangel und die steife Gesetzeskonformität, die letzendlich zum Versagen geführt hat, zu beleuchten und nimmt sich daneben auch noch genug Zeit dafür dem Zuschauer die zukünftigen Opfer und deren Familien nahe zu bringen. Dabei nutzt er durchaus – aber im Kontext verzeihbar – altbekannte Filmklischees, scheut aber auch vor drastischen Bildern nicht zurück, die ich ebenfalls in dieser Deutlichkeit nicht erwartet hätte.

gladbeck l005Das Geiseldrama von Gladbeck stellte sowohl in Sachen Medienpolitik als auch im Bereich Polizeiarbeit einen Wendepunkt dar und auch wenn die dadurch entstandenen Veränderungen im Film logischer Weise nicht mehr mit einbezogen sind, so führt er – im Zusammenhang mit diversem und leicht auf Youtube zu findendem Dokumentationsmaterial - doch dazu, dass man genauer versteht was eigentlich hinter den dramatischen Fernsehbildern wirklich stattfand.

Zusätzlich aber ist „Gladbeck“ auch noch ein toll inszenierter und gut gespielter Thriller mit einer ausgefeilten Dramaturgie, die, trotz der extremen Laufzeit, keinerlei Langeweile aufkommen lässt und – trotzdem man natürlich weiss was als nächstes geschehen wird – überaus spannend ist.

gladbeck l003Obwohl die ARD sich hier natürlich als Produzent nicht selbst in den Fuß schiesst und bei der Medienschelte relativ zurückhaltend bleibt, sind noch genügend selbstkritische Ansätze sichtbar, so dass der Film nie ins Einseitige abgleitet.

Der Film ist noch bis zum 20. März in der ARD-Mediathek verfügbar, die bereits erhältliche BluRay enthält noch ein Making of, in dem unter anderem auch Einstellungen des Filmes mit dem Originalmaterial verglichen werden.

Ansehen!


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