Der Punkt der Zäsur in Bojack Horseman
Bojack Horseman ist, unter analytischen Gesichtspunkten, die momentan bemerkenswerteste Serie im Fernsehen. Nicht nur füllt die Show jede ihrer Folgen mit allerlei Bildlichkeit und Subtexten, sondern selbst die Struktur der individuellen Staffeln folgt einer klar strukturierten dramatischen Progression.
Da wäre zum einem der deutlich fühlbare Tonwechsel zwischen den einzelnen Folgen. Vergleicht man eine Episode am Beginn einer Bojack Staffel mit einer solchen aus dem späteren Verlauf der entsprechenden Season, so merkt man unmittelbar eine bedeutend tristere Atmosphäre gegen Ende der jeweiligen Jahreslaufzeit. Zwischen diese stetig eskalierende Dunkelheit, setzt die Serie in unregelmäßigen Abständen, allerdings stets an dringend benötigten Stellen im Handlungsverlauf, eher auf Unterhaltung und Belustigung designte Folgen. Zwar täuscht auch diese vorsätzlich aufgesetzte Clownsnase nur selten über den stets vorhandenen Gravitas der Charaktere hinweg, allerdings ist es leicht sich, im speziellen nach dem Konsum einiger gewissen Folgen, manchmal einfach einzureden, dass Todd einfach nur ein sehr witziger Sidecharacter ist. Betrachtet man die wirklich ermüdende Selbstbedeutung von Serien wie den, ebenfalls auf Netflix zu streamenden, Marvel-Serien, dann wird einem schnell bewusst, dass selbst ein sinnvolles Staffelpacing, inklusive aller notwendigen emotionalen Höhen, Tiefen und Entspannungsphasen, mit Sicherheit noch weit von einem Industriestandart entfernt ist. Obwohl man meinen sollte, dass der Gedankengang:“ Hey wir haben gerade eine Folge über Abtreibungen produziert, vielleicht sollten wir kurz durchatmen, bevor wir den Leuten wieder in die Fresse treten:“ eigentlich ganz nachvollziehbar klingt.
In der Theorie zum klassischen Drama, laut dem Schriftsteller Gustav Freytag, spricht man gemeinhin von der „Pyramidalen Struktur der Tragödie“, wie es Sie bereits in der griechischen Antike gab. Die „Pyramidale Struktur“ besagt hierbei, dass der Spannungsbogen eines Dramas in fünf klar definierten Phasen verläuft. Dieser Verlauf beginnt mit der „Exposition“. Hier werden dem Zuschauer die Charaktere, Handlungsumstände und unter Umständen bereits Ansätze eines bestimmenden Konfliktes nahegebracht und vorgestellt. In der hierauf folgenden „steigenden Handlung“ kommt die Geschichte dann langsam in Fahrt. Die Schwierigkeiten, welchen sich unsere Protagonisten stellen müssen, werden in all Ihren Verwirrungen und Gefahren sichtbar. Wir wissen von nun an definitiv was auf dem Spiel steht. Anders als in den meisten Medien heutzutage üblich, befindet sich das Finale in Form des „Höhepunkts“, welcher auch als Zäsurpunkt oder Peripetie bekannt ist, bereits in der Mitte des Dramas. Hier findet sich der Held in direkter Konfrontation mit seinem Schicksal. Da die Tragödie, wie der Name ja schon andeutet, als solche kein gutes Ende nimmt, verliert unsere Hauptperson, übrigens ebenfalls konträr zur heutigen Populärunterhaltung, diesen Konflikt. Sein Schicksal ist bereits hier besiegelt und wird nur noch von den, in der nun folgenden „fallenden Handlung“ vorkommenden, „“retardierenden Elementen“ herausgezögert. Meist findet sich noch der ein oder andere Zufall, welcher unserem Helden eine Galgenfrist gewährt. Manchmal dauert diese Phase mehr oder weniger lange. Aber am Ende des Tage muss sich der Hauptdarsteller seinem Schicksal, in Form der sogenannten „Katastrophe“, stets beugen. Die Katastrophe als Ende der Tragödie ist in der Dramatik unumstößlich.
Jede Staffel Bojack Horseman folgt ganz offensichtlich der Struktur einer klassischen Tragödie. Zu Beginn werden wir über den aktuellen Status aller Hauptfiguren informiert, und uns werden die momentan drückendsten Bedrohungen selbiger vermittelt. Im Verlauf der ersten Zehn Staffelepisoden spitzt sich die Situation dann fortlaufend zu. Jeder Schritt den ein Charakter, und im speziellen Bojack selbst, versucht vorwärts zu gehen, endet in einer Situation, der gegenüber die vorherige Ausgangslage sehr positiv wirkt. Alles wird kontinuierlich schlimmer. Und dann kommt jede Staffel die unvermeidliche Folge 11. Folge 11 ist bei Bojack Horseman jedes Jahr der Punkt der Zäsur. Hier laufen die Fäden in einem finalen konfliktgeladenen Setpiece zusammen. Am Ende dieser Episode ist stets der massivste Punch in die Magengrube des Zuschauers. Wenn der Abspann am Ende dieser Folgen läuft, dann kann man sich eigentlich nicht vorstellen, dass sich Bojacks Situation jemals wieder zum Positiven wenden kann. Man erwartet die Katastrophe.
Doch genau diese Katastrophe tritt nicht ein. Im Verlauf der, auf die Peripetie folgende, Folge 12 findet sich ein retardierendes Element. Das eine Ding durch das wir glauben, dass es doch noch eine Hoffnung für die Ehe der Peanutbutters gibt, das Princess Caroline eine Chance auf ein Leben außerhalb der Arbeit hat und das Bojack einen Grund zu Leben findet. Das retardierende Element erfüllt seine Funktion und verzögert die Katastrophe.
Und dann?
Dann, nach der zwölften Episode des Jahres, endet die Staffel. Die Katastrophe bleibt aus, und wir fangen nächstes Jahr wieder bei der Exposition an.
Wer dieses Design jetzt inkonsequent, oder gar enttäuschend, findet hat das Konzept nicht begriffen. Macht euch keine Sorgen, Ihr werdet euer Ende noch bekommen. Das ist schließlich der Grund, warum Bojack Horseman so verdammt beunruhigend zu gucken ist. Alles an dieser Struktur sagt uns, dass diese Geschichte potenziell kein gutes Ende nehmen wird. Egal wie viele retardierende Staffeln es noch benötigen wird, am Ende des Tages ist Bojack Horseman eine Tragödie, und die Katastrophe ist in der Tragödie unumstößlich.
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