Publisher: Horror Soft Amiga/PC
Regie: Alan Bridgman, Mike Woodroffe, Simon Woodroffe Musik: Jezz Woodroffe
Wenn einem der gerade frisch verstorbene Onkel Boris ein muffiges Wachsfigurenkabinett vermacht, dürfte dem geschulten Horrorfreund sehr schnell klar sein, dass derartige Erbschaften für gewöhnlich einen Pferdefuß nach sich ziehen. Insbesondere wenn der Zwillingsbruder schon seit Jahren spurlos verschwunden ist und obendrein auch noch ein alter Zigeunerfluch auf der Familie lastet. Und da ich mir zur Abwechslung ein Computerspiel vorgenommen habe, wurde mir auch schnell klar, dass zu dieser verkorksten Familiengeschichte auch noch ein Haufen Rätselei und Mausgeklicke hinzukommen sollte. Nix da mit entspannt auf dem Sofa zurücklehnen, während irgendwelchen Dummbeuteln auf dem Bildschirm schlimme Dinge zustoßen, diesmal sollte der Horror interaktiv sein, und was war da passender, als ein altes Game eines Entwicklerteams, das sich unter der Firmierung „Horror Soft“ gewissermaßen das nackte Grauen aufs Banner geschrieben hatte? Gegründet wurde diese britische Spieleschmiede übrigens von Mike Woodroffe, vor „Waxworks“ gab es aus demselben Hause bereits zwei Horroradventures um die vollbusige Gothic-Schönheit Elvira („Elvira: Mistress of the Dark“ und Elvira II: The Jaws of Cerberus“), nach dem Ausflug ins Wachsfigurenkabinett erfolgte jedoch ein ziemlich harter Kurswechsel. Unter dem Label „Adventure Soft“ entstand nun die „Simon the Sorcerer“-Reihe, die es auf insgesamt sechs Teile und die Ableger „Simon the Sorcerer’s Pinball“ und „Simon the Sorcerer’s Puzzle Pack“ bringen sollte. Betrachtet man „Waxworks“ aber ein wenig genauer, war dieser Schritt hin zu familienfreundlicher Unterhaltung (die ähnlich parodistisch daherkommt wie die „Monkey Island“-Grafikabenteuer) allerdings geradezu folgerichtig, denn „Waxworks“ ist gewissermaßen ein Abschluss, eine Bilanzierung des Horrorgenres und dessen, was mit den damaligen technischen Möglichkeiten auf dem Heimcomputer machbar war, bevor die technisch anspruchsvolleren First-Person-Shooter (insbesondere natürlich „Doom“) neue Maßstäbe setzten. Zwar gleitet man noch nicht so elegant durch die verschlungenen Labyrinthe – stattdessen springt das Bild abschnittsweise vorwärts, rückwärts oder zur Seite, so wie das ältere Semester noch aus Klassikern wie „Eye of the Beholder“ kennen dürften – und die reduzierte Farbpalette (trotz VGA wurden auch auf dem PC nur 32 Farben verwendet, da das Spiel ursprünglich auf dem Amiga entwickelt wurde) sowie der nur mit ein wenig Fummelei auf ein erträgliches Niveau anhebbare Sound[1] dürften ebenfalls dazu beitragen, dass „Call of Duty“-verwöhnte Zocker das Spiel gar nicht erst installieren. Aber: lässt man sich auf den Retro-Charme erstmal ein, bietet „Waxworks“ einige Stunden hochkarätiger und überaus spannender Unterhaltung. Das fängt bereits mit der verdächtig nach Poe und Lovecraft riechenden Hintergrundstory an: durch den Fluch einer bei einem Hühnerdiebstahl ertappten und ohne viel Federlesens um eine Hand kürzer gemachten Hexe hat die Familie des Spielers nämlich die Unart entwickelt, dass sobald Zwillinge geboren werden unverzüglich einer der beiden dem Bösen verfällt und im Namen des Teufels Leid und Schrecken verbreitet. C. G. Jungs Archetypenlehre lässt grüßen, denn selbstverständlich tritt man als Spieler nun an, sich diesem „Schatten“ zu stellen bzw. endlich den alten Fluch zu brechen (dass der böse Zwilling Alex heißt hat dem Spiel dann auch noch eine amüsante persönliche Note verliehen). Rat weiß dabei der inzwischen via Glaskugel im Jenseits anrufbare Onkel Boris, der als Mentorenfigur wichtige Tips bei den zu lösenden Rätseln parat hat und auch für die des Öfteren nötige Heilung sorgen kann. Sogar den „Schwellenhüter“ hat man nicht vergessen, denn Onkelchen beschäftigt in seinem Wachsfigurenkabinett einen gruseligen Butler der Marke „Frankensteins Monster“, der einem bei zuviel Zögern und Zaudern kurzerhand einen freundlichen Schubs in den nächsten Spielabschnitt verpasst. In der Praxis gestaltet sich die Fluchbrecherei dann so, dass man sich wie seinerzeit Theseus durch insgesamt vier Labyrinthe kämpft und knobelt, um den vier finstersten Evil Twins des Stammbaums Manieren beizubringen. Was „Waxworks“ (und nahezu allen Dungeoncrawls) eine Art Ritualcharakter verleiht – mit dem feinen Unterschied allerdings, dass diese Nekyia durch das Zwillingsmotiv gewissermaßen nach innen verlagert wird und der Schluss des Spiels vage genug gehalten wurde, um die Frage aufzuwerfen, ob man nicht möglicherweise sogar selbst der Bösewicht war (immerhin zieht man eine erkleckliche Spur an Leichen hinter sich her). Da man netterweise die freie Auswahl hat, in welcher Reihenfolge man sich welchem üblen Vorfahren stellen möchte, stelle ich die einzelnen Wachsfigurenkabinette kurz chronologisch vor:
Der allererste fiese Möpp in der langen Reihe fieser Möpps trieb bereits zu Pharaos Zeiten sein Unwesen. Als Anubispriester ließ er bevorzugt attraktive junge Frauen lebendig einsargen, vergriff sich dabei aber dämlicher Weise auch an der Gattin des guten Zwillings, in dessen Rolle man nun auszieht, das Schlimmste zu verhindern. Da böse Hexen hellsichtig sind konnte die alte Trulla diese nahezu klassische Urszene des patriarchalen Mythos (Kampf gegen die alte Ordnung bzw. in diesem Fall konkret gegen den Anubiskult, somit eine Selbstbehauptung des Individuums gegen Tod mit der Frau als Belohnung für den Sieger) natürlich leicht herausfinden, so dass der im Mittelalter ausgesprochene Fluch gewissermaßen einen Wiederholungszwang darstellt. Einen Zwang, der sich schnell auf den Spieler überträgt, denn selbstverständlich lauern hinter jeder Ecke gefährliche Fallen, so dass häufiges Abspeichern, ebenso häufiges spontanes Ableben und Laden des letzten Spielstands schnell zur Normalität werden. Neben Stolperdrähten, Indiana-Jones-Gedächtnis-Steinkugeln übelgelaunten Wachen und Anubispriestern darf man sich dann auch noch mit zahlreichen, z. T. wirklich komplexen Rätseln herumplagen (ein kniffliges Zahlenrätsel habe ich vor langer Zeit, als man Komplettlösungen noch nicht im Internet abrufen konnte sondern auf den Kauf von Magazinen wie „Amiga Joker“ angewiesen war, tatsächlich gemeinsam mit einem mathebegeisterten Schulkameraden ausgeknobelt), man benötigt die korrekten Stimmgabeln um hinderliche Glasplatten aus dem Weg zu schaffen und generell muss man natürlich alles einsacken, was nicht niet- und nagelfest ist, da man nie weiß, was man als nächstes benötigt. Diese Gegenstände werden im etwas umständlich zu bedienenden Inventory abgelegt und wie man das aus unzähligen Point-and-Click-Adventures kennt scheint die Spielfigur über die Hosentaschen von Gamma zu verfügen – ein normaler Mensch würde sonst wohl nicht 20 Amphoren, eine Waffenkammer und allerlei anderen Krempel mit sich herumschleppen.
Ist die ägyptische Prinzessin endlich gerettet geht es flugs nach Transsylvanien. Hier ist der finstere Vlad gerade dabei, einen Friedhof zu plündern um eine Zombiearmee aufzustellen, außerdem hat er sich auch noch mit einem Vampir verbündet, so dass der Friedhof zum kampflastigsten Abschnitt wird.
Hier scheint den Entwicklern ein kleiner Fehler unterlaufen zu sein, denn vom Setting her ist der unheimliche Minenstollen deutlich moderner als das letzte Teilkabinett des Spiels, trotzdem wird im Spiel erklärt, dass der dort hausende und zu einer gewaltigen fleischfressenden Pflanze mutierte Zwilling zeitlich vor dem letzten zu bezwingenden Schuft einzuordnen ist. Egal, was zählt ist trashige, aber nicht unpassende Sci-Fi-Horroratmosphäre im Stile alter Schinken aus den 50er Jahren. Der Grünkernbruder war nämlich der Anführer eines Teufelskults und hat sich selbst und seine Mitsektierer durch ein Serum in menschliches Gemüse verwandelt (mit Blick auf so manchen Anhänger der eher obskureren Glaubensgemeinschaften ein durchaus treffender Seitenhieb) und der Spieler muss auch hier sowohl mit Gewalt als auch mit Köpfchen vorgehen, um den ekligen Garten zu jäten bzw. den Stollen zu sprengen und rechtzeitig wieder an die Erdoberfläche zurückzukommen.
Numero Letzt treibt sich schließlich in Whitechapel herum und schlitzt dort Prostituierte auf (irgendwie eine wirklich tolle Ahnenreihe, die der Onkel Boris in seinem Gruselkabinett versammelt hat). Dieser fast nur in blautönen gehaltene Dungeon verzichtet vollständig auf Kämpfe, lediglich den liebenswürdigen Jack darf man am Ende erstechen und in die Themse schubsen – im Gegenzug gilt es, vor Bobbies und einem wütenden Lynchmob auf der Hut zu sein, die einen, Zwilling der man ist, mit dem Ripper verwechseln und unverzüglich an den Galgen bringen. Um sich dieses Schicksal zu ersparen gilt es, in fremder Leute Häuser einzubrechen, sich eine Verkleidung zu beschaffen, und schließlich in den beiden Pubs Kontakt mit den örtlichen Pimps und ihren Pferdchen herzustellen, damit man Jackie überhaupt aufspüren kann. Und wenn schließlich alle schurkischen Vorfahren erledigt sind geht es noch einmal ins Mittelalter, wo man die böse Hexe stoppen muss, bevor sie ihre Verwünschung ausstoßen kann. Und damit wir so langsam ans Ende dieses Reviews kommen: lohnt es sich auch heute noch, „Waxworks“ eine Chance zu geben? Von meiner Seite kann ich das mit einem klaren „Ja!“ beantworten. Das Spiel ist durch die vier völlig unterschiedlichen Abschnitte sehr abwechslungsreich, das wilde Mausgeklicke bei den Kämpfen und erst recht die lästigen Londoner Bobbies sorgen für die nötige Spannung, der Schwierigkeitsgrad der Rätsel ist angemessen (auch wenn man manche Lösungen eher durch Herumprobieren herausfindet) und die Atmosphäre trotz altbackener Grafik angenehm düster. Denn trotz des postmodernen Ansatzes – das Wachsfigurenkabinett als Geisterbahn, in der vier unterschiedliche Horrorszenarien ausgestellt werden – verzichtet „Waxworks“ vollständig auf Humor, stattdessen lauert der Tod hinter jeder Ecke. Insbesondere in diesem Punkt ist das Spiel sogar als herausragend zu bezeichnen. Den mutierten Pflanzenheinis mit einem selbstgebastelten Flammenwerfer aufs Chlorophyll zu rücken oder den Zombies auf dem Friedhof mit der Sichel die Arme abzuhacken ist bereits drastisch, die Sterbeszenen wenn es die Spielfigur erwischt hingegen bewegen sich durchgängig auf Fulci-Niveau. Und man stirbt ziemlich oft in „Waxworks“ – schon alleine aus Neugierde, welches schaurige Todesbildchen sich die Programmierer in dieser Situation wieder haben einfallen lassen. Von Zombies ausgeweidet? Bittesehr! Erstochen, aufgespießt, von fiesen Ranken in Stücke gerissen, vom Krokodil gefressen, vergiftet, erhängt – kann man alles in einer Blutrünstigkeit haben, die es bis zu diesem Zeitpunkt so noch nicht auf dem Computermonitor zu bestaunen gab. Was einen darüber staunen lässt, dass das Spiel anno 1992 nicht unverzüglich indiziert wurde, denn Unterhaltungssoftware hatte man schon seit den 80ern als bestenfalls sozialethisch desorientierend im Visier („Mortal Kombat“ wurde ja sogar bundesweit beschlagnahmt) und Alterseinstufungen für Computerspiele gab es auch noch nicht, so dass das Spiel praktisch von jedermann gekauft werden konnte. Andererseits war ich damals auch noch nicht volljährig und wo hat mich der Erwerb dieser kleinen Schachtel, in der ganze zehn Disketten, ein Büchlein mit der Hintergrundgeschichte und ein Codewheel als Kopierschutzmaßnahme herumklapperten gebracht? Zu EVIL ED. Ich denke, da ist der Evil Twin Alex doch am richtigen Platz, oder? Also spitzt die Bleistifte – Automapping gibt es nämlich auch nicht, so dass man die Karten selber zeichnen muss oder planlos herumirrt. Aber so war das früher nun mal.
Alexander
[1] Für die Technikfreaks: „Waxworks“ läuft unter Dosbox und um in den Genuss des MIDI-Soundtracks zu kommen, der wesentlich besser klingt als Soundblaster, sollte man BASSMIDI mit passenden Soundfonts oder noch besser den Synthesizer „munt“ auf dem Rechner haben. Allerdings hat selbst mit solchen Kniffen die Amiga-Version musikalisch die Nase eindeutig vorn. Wer gerne herumexperimentiert sollte darum vor einer Amiga-Emulation nicht zurückschrecken.
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- Alexander Jäger