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The Return of Dias Giftspritze
Teil 005


Es ist schwer einem Genre wie den Actionfilm einen echten Urvater zuzuordnen, denn seit das bewegte Bild erfunden wurde, war die Bewegung ein großer Teil davon und gerade in den Anfängen der Kinematographie wurde – durch das offensichtliche Fehlen der Dialogmöglichkeiten – die Handlung möglichst durch Handlungen vorangetrieben. Der älteste Film, den ich komplett als zum Action-Genre gehörig benennen würde wäre „The General“ (1927) von und mit Buster Keaton.

02 GeneralgifHier wurde in gerade mal 80 Minuten im Endeffekt nicht mehr gezeigt als eine ausgedehnte Verfolgungsjagd – inklusive einer finalen Sequenz, in der der titelgebende General (eine - echte -Dampflok) mit einer -echten - zusammenbrechenden Brücke in einen - echten -Fluss stürzt.

Sicherlich gab es auch zuvor schon ausgedehnte Verfolgungsjagden und einzelne Szenen die mit halsbrecherischen Aktionen vollgepackt waren (man denke nur an diverse „Laurel and Hardy“-Filme), aber Keaton reduzierte die darum stattfindende Handlung auf ein Minimum und machte den Film zu einer großartigen Abfolge immer aufwendigerer und atemberaubenderer Stunts, die auch heute noch überraschen können. Zusätzlich aber hatte der Film auch noch ein Herz und gab seinem Hauptcharakter Johnnie Leben, in dem er ihn sozusagen zwischen zwei großen Lieben entscheiden liess – einmal die hübsche Annabelle und zum anderen natürlich das alte Dampfross, das zu Beginn von bösen Wichten entführt wird.

01 generalJohnnie muss im Laufe des Filmes über sich hinauswachsen, um Anabelle zu beweisen, dass er kein Feigling ist und schafft das nur, in dem er am Ende seine andere große Liebe opfert. Das Dilemma des Helden ist bei all der großartig inszenierten Action das Zentrum des Filmes. Somit präsentiert „The General“ zum Ende der Stummfilmzeit bereits all das, was in den nächsten 70 Jahren einen Actionfilm ausmachen sollte, einen liebenswerten Helden, der – bedingt durch widrige Umstände – über sich hinauswachsen muss, um das Ende des Filmes zu erleben (und oftmals dabei die Dame seines Herzens zu retten) und dabei von einer grandiosen Actionsequenz in die nächste rutscht.

Sicherlich gab es im Laufe der Jahrzehnte auch mal die ein oder andere Variation zum Thema, aber das grundsätzliche Konzept blieb – zumindest bis in die 70er Jahre mehr oder weniger gleich. So gesehen hat ein Film wie „Vanishing Point“ (Fluchtpunkt San Francisko – 1971), trotz seiner Hippie-Thematik und dem nackten Mädchen auf einem Motorrad, mehr mit dem „General“ gemein als mit „Hair“ (das Musical war zur gleichen Zeit in aller Munde) auch wenn die Einflüsse des letzteren Werkes durchaus spürbar sind.

03 vanishingAuch Jimmy Doyle in „French Connection“ oder Harry Calahan in der Dirty Harry Filmserie sind deutliche Abkömmlinge von Johnnie. Selbst wenn Gene Hackman durch seinen Hass auf Drogen und Eastwood durch seinen Hass auf Verbrecher als solches getrieben sind, so sind sie doch im herzen „Good Guys“. Einzig und alleine James Bond sticht hier heraus, denn – nehmt mir das jetzt nicht übel liebe Bond-Fans – im Endeffekt ist das einzige was ihn treibt und motiviert eine große Liebe zu sich selbst und der Spaß am Töten.

In den 80er Jahren begannen im Actiongenre die Einflüsse des asiatischen Kinos erstmals sichtbar zu werden. Bedingt durch die Welle von Martial Arts Filmen, die seit den siebzigern in die amerikanischen und europäischen Kinos schwappten, wuchs die Brutalität mit der die Helden die unzähligen Schergen aus dem Weg räumten, die eigentlichen Actionszenen wurden immer länger. Zusätzlich wurden Männerfreundschaften (vgl. „First Blood“ 1982 oder „Lethal Weapon“ 1987) und das Thema Rache („Road Warrior“ – Mad Max 1981) immer wichtiger. Auch der ein oder andere Handkantenschlag und Roundhouse-Kick verirrte sich nun ins Genre, ebenso wie „Schauspieler“, deren Fähigkeiten tatsächlich nur aus solchen bestanden (Hallo Chuck Norris, hallo Michael Dudikoff).

04 lethalAuch in den späten 90ern ware es wieder asiatische Einflüsse, die das Genre modernisierten. Bedingt durch die „Guntaka“-Filme von John Woo und seinen Epigonen, in denen Schläge und Tritte mit endlosen Salven aus niemals leer werdenden Waffen ersetzt wurden, lernten auch amerikanische Helden das drahtgestützte Fliegen und die Technik eine Waffe – falls es dramaturgisch mal notwendig wurde – während eines Saltos oder einer sonstigen artistischen Aktion nachzuladen. „The Matrix“ ist hier das Paradebeispiel.

Doch all diese Neuerungen, technischen Spielereien und die Versuche andere Genres mit hineinzunehmen (Science Fiction in„Aliens“, Horror in „The Hitcher“, Comedy in „Beverly Hills Cop“) änderten nichts am Grundgerüst eines brauchbaren Actionfilms – der Held (die Helden) und sein über sich hinauswachsen war das Zentrum des Filmes, die Actionsequenzen fanden statt, um diese Entwicklung zu bebildern.

All den oben genannten Filmen (und vielen, die ich nicht erwähnt habe) ist aber noch etwas anderes gemein und das ist ihre Wiedererkennbarkeit. Nur die Erwähnung einer einzelnen Dialogzeile wie „Make my day“, „Now I have a machine gun“ oder „I´m to old for this shit!“ sind ebenso aussagekräftig wie die jeweiligen Filmtitel und eine Verfolgungsjagd unter der Hochbahn New Yorks oder ein mittels Handschellen an einen zur Explosion neigenden Tanklaster geketteter Bösewicht sind Kinomomente die einzigartig sind.

05 clintUnd das bringt uns dann auch zum eigentlichen Thema dieser Giftspritze, die ja nicht nur eine kleine Filmhistorie bieten will, sondern ihrem Titel entsprechend und wiedererkennbar Salz in Wunden reiben will. Kommen wir also zum modernen Actionkino der letzten Jahre und dessen Verfall.

Auch hier ist es natürlich nicht ganz so einfach einen Anfang zu finden, aber wenn man alles zusammenzählt, was wir im späteren Verlauf noch erwähnen werden kann man die Schuld für den Untergang eines ganzen Genres wohl hauptsächlich an George Lucas fest machen.

Ehe jetzt die Sprüche von wegen „enttäuschter Star Wars Altfan“ und „retrogeschädigter Opa“ kommen, lasst es mich ein wenig genauer erklären. Was sich bei Star Wars Episode 1 andeutete und bei Episode 2 deutlich wurde, war dass in den Augen von Herrn Lucas nur ein gefülltes Filmbild ein gutes Filmbild ist.

06 jedisIch rede hier noch nicht einmal von dem Versuch mit dem unerträglichen Jar-Jar einen komplett im Computer enstandenen Charakter zu erschaffen – das führte schließlich einige Jahre später zu Gollum – mir geht es einfach um die Art und Weise, in der Lucas und sein, ihm definitiv nicht widersprechendes, Team, jedes einzelne Filmbild mit Details anfüllten, die keinerlei Daseinsberechtigung hatten.

War es wirklich nötig beim Blick aus dem Jedi-Sitzungsraum immer mindestens 20 Raumschiffe über die - ohnehin schon überfrachteten Stadtansicht – fliegen zu lassen und mussten im Endkampf von Episode 2 unbedingt hunderte von Laserschwert schwingenden Jedis und ebensolche Mengen von unterschiedlichen Fahrzeugen gezeigt werden?

07 jedisSolche Szenen haben einfach keine Funktion, außer das Selbstwertgefühl der Tricktechniker zu heben und als technische Masturbationsvorlagen zu funktionieren. Wär ja alles nicht ganz so schlimm, wären Lucas bevorzugte „Kunden“ nicht in der Hauptsache an ADHS leidende Kids bis hin zum Pickelalter gewesen, die diese sinnbefreite Überfrachtung aller Sinne als sinnvoll erachteten. Diese sind mittlerweile zu verstörten jungen Erwachsenen geworden, die teilweise im Filmgeschäft arbeiten oder es zumindest als Facebook-Experten verfolgen.

Die Filmdiät im Actionbereich, mit der diese Leute aufgewachsen sind, bestand aus Filmen die nun widerum versuchten die „Matrix“ oder eben die Star Wars Prequels zu imitieren. Das Werke wie die unsäglichen Underworld-Filme (2003 – 2012) oder der fast schon komplett computeranimierte Ultraviolet (2006) heutzutage nahezu vergessen sind, hat schon seinen Grund. Dieses heranwachsende Publikum bescherte uns mit ihrem, mit ihnen wachsenden, Einkommen diese extremen Blockbustersommer, unter denen wir seit der Jahrtausendwende leiden. Kleinere und interessante Produktionen wurden noch mehr beschnitten, als in den Jahren zuvor – das kreative Kino fand sozusagen nicht, bzw. nur noch unter dem Radar statt.

Größer + voller + lauter + mehr CGI = besser?

In letzter Zeit scheint sich da aber glücklicherweise die schon vor Jahren von Tarantino und anderen prognositizierte Abnutzung breit zu machen. Das sorgt dafür, das nun auch mal wieder über den Tellerrand geguckt wird und der liegt bekanntlich von Amerika gesehen hinter dem pazifischen Ozean.

08 ongbakDas asiatische Actionkino hat sich allerdings zwischenzeitlich von China eher in andere Länder verlegt. Speziell Thailand („Ong-bak“ 2003) und Korea („Oldboy” 2003) taten sich da hervor und entwickelten die chinesische Actioncoreographie weiter, in dem sie einen Schritt zurück gingen. Vorbei die Zeiten, der durch die Luft wirbelnden chinesischen Gunslinger oder Swordswinger - der unbesiegbare Einzelkämpfer mit nahezu übermenschlicher Kondition war zurück und diesmal zeigte er – nahezu ohne Schnitte – in einer Mischung aus Full Contact Fighting und „Cirque du Soleil“-mässigen artistischen Einlagen, dass er tatsächlich alle Stunts selber ausführte.

Mittlerweile hat man in den beiden Länder auch schon über zehn Jahre Erfahrung mit der neuen Art des Actionfilms und Filme wie die beiden „The Raid“-Teile (2011/2014) und „Headshot“ (2016), den wir auch bereits besprochen haben, zeigen, dass im Moment Indonesien das Maß aller Dinge ist.

Zusätzlich hat sich das US-Actionkino, mittlerweile aber auch auf bekannte Werte zurückbesonnen. Spätestens seit 2012 Arnold Schwarzenegger wieder für große Rollen zur Verfügung stand, gab es auch hier wieder eine kleine Renaissance.

09 hardcoreLetztlich darf man auch nicht vergessen, dass es auch noch einen dritten Faktor gab, der jetzt zu berücksichtigen ist. Bei der Pickelgeneration heutiger Tage ist das Kino nicht mehr das Hauptmedium der Freizeitverschwendung. Action holt man sich heutzutage vor der Spielkonsole ab – die Spieleindustrie setzt ein vielfaches mehr um als die altmodischen Filmemacher – und wer nicht selbst spielt, der schaut Leuten per Youtube dabei zu. Wobei ich hier offen zugebe mir auch schon den ein oder anderen „Let's Play“-Stream gegeben zu haben, einer davon war übrigens „Hardcore Henry“ (2016), der seltsamerweise als Film vermarktet wurde.

Rührt man nun diese drei Zutaten zusammen, dann muss dabei doch die Revolution des modernen Actionkinos herauskommen, oder?

Oder?

ODER?

 

Vorhang auf für „John Wick“ (2014) der eigentlich alles richtig macht. Die Geschichte ist simpel genug und bedient auch genug Klischees des klassischen Actionmovies. Unser Held übt Rache für seinen von Bösen getöteten Hund und sein geklautes Auto und bringt dabei, weil er zu einer geheimen Organisation professioneller Killer gehört, hunderte von Leuten mit gezielten Schlägen, Tritten und Schüssen (ganz zu schweigen vom Einsatz scharfer oder harter Gegenstände) um die Ecke.

10 wickDie Action ist deutlich an neuasiatische Sicht- und Drehweisen angelehnt, das computeranimierte Blut spritzt literweise aus den computeranimierten Wunden der Opfer - ein farbenfroher Totentanz, bei dem der Einzelne nur so lange wichtig ist, wie es braucht ihn ins Jenseits zu befördern. Bei längeren Szenen dieser Art wünscht man sich aber tatsächlich ein Joypad in den Fingern zu halten – und sei es nur um vorzuspulen, denn diese Metzelszenen nutzen sich sehr schnell ab und haben (im Gegensatz z.B. zu einem mit zwei Maschinengewehren bewaffneten Arnold Schwarzenegger) keinerlei Wiedererkennungswert. Allerdings ist zumindest die Geschichte recht pfiffig und mit der nötigen Ironie erzählt, selbst wenn sie große Teile bei dem erheblich intelligenteren „The Tournament“ (2009) ausleiht.

Das zumindest sorgt dafür, dass man die Grundstory mit dem „Killer-Club“ noch einigermaßen im Gedächtnis hat, wenn man sich zu „John Wick Chapter 2“ (2017) herablässt. Denn ohne diese Vorkenntnisse erschließt sich diese Fortsetzung dem Zuschauer nicht mehr, da mittlerweile sämtlich Anklänge an eine nachvollziehbare Handlung der Videospielästhetik komplett zum Opfer gefallen sind. Zugegeben, der Film beginnt mit einer Autoverfolgungsjagd, die auf eine interessante Art und Weise inszeniert ist und durch einen geschickten visuellen Kniff eine komplett übersichtliche Choreographie hat, aber nach diesen 10 Minuten hat es sich auch mit dem kreativen Anteil des Filmes.

13 wick2Es beginnt eine schier endlose Abfolge diverser Schiessereien, nur unterbrochen von ein paar wortkargen Zwischensequenzen, die tatsächlich wie in einem Videospiel inszeniert sind. Bei jedem dieser Schußwechsel wartet man förmlich darauf das Einblendungen mit Slogans wie „Double Kill“, „Mega Combo“ oder „environmental Kill“ über die Screen flashen, die nahezu endlos aus allen Richungen auf den Player (Ups, ich meinte Keanu Reeves) zuströmenden gesichtslosen Schergen werden von Level zu Level immer mehr und angressiver, lassen sich aber mit einigen gezielten Kopfschüssen aus dem Weg räumen. Dabei zerplatzen die Köpfe schön in Pixelblutwolken und wenn unser Held, der sich natürlich vorher in diversen In-Film-Shops mit Waffen, Munition und einem kugelsicheren Unterkleid versorgt hat, tatsächlich mal von mehreren Kugeln getroffen wird, zieht er sich einige Sekunden in eine Deckung zurück und ist wieder voll einsatzfähig.

Hat man dann ein Gebiet von Leben befreit, trifft man in einer Zwischensequenz auf einen weiteren Non-playable Character und darf dann in dessen Heimstatt weitertöten, bis man letztendlich den Endgegner des Filmes erreicht.

Hätte der Film noch ein Headshot Rating im Nachspann, welches ungefähr bei 90 % liegen dürfte, dann wäre „John Wick 2“ ein perfektes „Let's Play“, allerdings mit 122 Minuten ein fast schon zu langes, bei dem man darauf wartet, dass sich mal ein Speedrunner dessen annimmt.

11 wick2Nun ist es ein vielleicht wenig unfair meinen momentanen Hass auf das amerikanische Actionkino nur an diesem Film festzumachen, es ist nur so, dass er halt all die negativen Eigenschaften eines modernen Actioners in sich vereint und durchaus erfolgreich war, so dass es zu befürchten ist, dass wir nicht nur das unvermeidliche (und sich bereits in Produktion befindliche) Sequel sondern noch einige andere „John Wick“-ige Filme in der nächsten Zeit präsentiert bekommen werden. Wäre er ein Flop gewesen, wie der ungefähr gleichzeitig gestartete aber ebenso uninspiriert inszenierte „Assassins Creed“ (2017), dann hätte ich mir den letzten Einschlag der „Fast and furious“-Reihe vorgenommen, bei dem die Zwischensequenzen zwar etwas länger ausfallen, die Actionszenen hingegen auch den letzten Bezug zur Realität missen lassen. Allen diesen modernen Werken gemein ist aber auf alle Fälle dass weder Helden noch Geschichte nach dem Verlasssen des Kinos in irgendeiner Form im Kopf hängen bleiben.

Allerdings ist „John Wick 2“ das vielleicht deutlichste Zeichen dafür, wie tief das Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners mittlerweile gesunken ist. Wenn man die überschwänglichen Kommentaren in den diversen Foren und die Liebeserklärungen an diese Art des „Filmemachens“ liest, die dort verbreitet werden, dann ist der gewollte Zustand der potentiellen Zuschauer aus Produzentensicht mittlerweile ein IQ-Quotient deutlich unter dem dreistelligen Bereich. Sabbernde Idioten, die nicht mehr beherrschen müssen, als ihre Augen und Ohren für 122 Minuten offen zuhalten und auf etwaige Absonderlichkeiten, wie eine glaubhafte Handlung, schauspielerische Leistungen oder gar so etwas exklusives wie Spannung und eine erzählte Geschichte gut und gerne verzichten können, so lange es nur genug knallt und kracht und Blutfontainen spritzen.

12 wick2Das einzige was „John Wick Chapter 2“ und „The General“ noch miteinander gemein haben ist die hölzerne Mimik des Hauptdarstellers, bei Buster Keaton war das Teil seines Charakters bei Keanu liegt es einfach daran, dass er zu nichts anderem in der Lage ist, aber vielleicht passt er deshalb so gut in die heutigen „Let's Play“-Filme.

Ich habe Angst davor, was aus der derzeitigen Pickelgeneration noch wird und davor, dass sie später einmal bestimmen was „Film“ bedeutet. Vielleicht bin ich ja wirklich nur ein zynischer alter Mann, aber das ist nicht mehr meine Art Kino.


Dia

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